Seit gut drei Jahren versuche ich meinen Mann zu einer Spritztour an die Elsässische Weinstraße zu überreden. Nicht, dass wir nicht schon dort gewesen wären. Aber während es mich zu Weinbergen, bunten Fachwerkhäuschen und gut bestückten Patisserien zieht, steht mein Mann auf Wasser. In jeder Form. Deshalb umrundeten wir vorgestern schon den Weiher von Gondrexange. Und ich muss zugeben, ohne diese Wanderung kurz vor Silvester würde mir doch glatt etwas fehlen. Zumal es neben mannigfachen Vogelarten samt stimmungsvollem Wolkenspiel eine ausgesuchte Bäckerei mit prima Croissants, und, wie ich feststellte, auch wunderbaren Bûches de Noël gibt. Gestern nun hätte ich bezüglich Weinstraße dann fast meinen Wunsch durchgesetzt. Wäre da nicht der Rhein in kongenialer Fließrichtung aufgetaucht. Also wieder mal Essig mit der Weinstraße, die buchstäblich ins Wasser fiel.
Allerdings muss ich zugeben: Das Grand Ried zwischen Straßburg und Colmar, flach wie ein Brett, von Wasserstraßen, ellenlangen Alleen durchzogen, entlang schnurgerader Deiche, feenhaltiger Auenwälder und Feuchtwiesen, mit Blick auf die blauen Vogesen… das hat schon was. „Fühle mich“, sagte ich, „ein bisschen wie in Norddeutschland.“ Er fühle sich wie kurz hinter Straßburg, sagte mein Mann. Was er eigentlich meinte, war: Carpe diem!
Im Aux petites Saveurs in Rhinau verkaufte uns eine äußerst freundliche Dame ein paar kulinarisch hochwertige Croissants mit Nussfüllung. Gestärkt wandelten wir über den Deich. Richtung Wasserkraftwerk aus dem Jahre 1963. Ein Omen! Sind wir doch gleich alt. Mein Mann, das Kraftwerk und ich. Der Christopherus mit Kind entpuppte sich von ziemlich nah als Jungfrau Maria mit Sprössling. Denke, ich brauche eine neue Brille. Hurtig schlüpften wir durch ein Tor um vielleicht über die massive Anlage ans andere Ufer zu gelangen, wo es dieselbe Aussicht, immerhin von der anderen Seite, zu bestaunen gab. Angesichts weiterer, diesmal verschlossener Tore verließ uns allerdings der Mut.
Musste an jene unglückselige Begebenheit denken, die zwei meiner Freundinnen und mir in Südfrankreich widerfuhr. Auch hier wollten wir abkürzen. Auch hier schlüpften wir durch das Gestänge eines partout verschlossenen Tors. Bis von der anderen Seite lautes, bedrohliches Hundegebell erscholl. Wir beschlossen umzukehren. Was soll ich sagen? Zwei schlüpften durch das Tor, die dritte blieb darin hängen. Im Zuge der Volumenreduzierung kippten wir der Armen Mineralwasser über den Kopf, rieben die Ohren in aller Hast mit einem damals unverzichtbaren Lippenbalsam ein und zogen. Es hat geklappt.
Da wenig von meinem jugendlichen Übermut geblieben ist, ich prinzipiell auch nicht gegen Tiere kämpfe, wollte ich etwaige spitzohrige Dobermänner keineswegs erzürnen, gar gegen sie antreten. Wir beschlossen umzukehren um in Rhinau zu Mittag zu essen.
Ein Siebzigerjahre-Waschbecken in dezentem LatteMachiatoBraun, das hat auch nicht jeder. Aber das alte Gasthaus an den Ufern des Rheins schon. Interessant jedenfalls. Wenn auch nicht zielführend. Doch was braucht das Herz des Vogesenbesuchenden mehr als eine betagte Gaststube mit dunkler Holzvertäfelung, nostalgisch geschmücktem Weihnachtsbaum, blütenweißen Papiertischdecken, einem schoppentrinkenden Schlauberger jenseits der Achtzig und einem grünen Kachelofen in der Ecke? Mir fiele da noch mehr auf dem Teller ein. Was frau kredenzte, war zwar superlecker, aber leider wie abgezählt. Sehnsüchtig blickten wir nach den übervollen Salattellern, den glänzenden Spätzle am Entrecôte mit brauner Sauce. Honi soit qui mal y pense. Nachdem zwei Mitarbeitende konzentriert versucht hatten vier Gläser Riesling mit gleichmäßig wenig Flüssigkeit zu befüllen (einer goss, die andere beobachtete), hätten wir eigentlich misstrauisch werden können. Auch, als der alte Herr von Tisch 23 augenzwinkernd meinte, das zweite Glas von rechts könne noch ein bisschen weniger vertragen, hofften wir noch wohlgemut. Ob er nicht an einem anderen Tisch sein Mahl einnehmen wolle als gerade gegenüber der Theke, fragte daraufhin der Eingießende. „Nein“, konterte der Stammgast, „dann kann ich ja nicht mehr den hübschen Mädchen bei der Arbeit zusehen.“ Nun, jeder hat sein Kreuz zu tragen. Und Wegrennen von der Arbeit gilt nun mal als reell unpopulär.
Nachdem wir bezahlt und die elsässische Variante der Muppetshow ihre Tore hinter uns geschlossen hatte, fuhren wir durch pittoreske, topfebene Dörfer Richtung Sélestat. Wer Fachwerkhäuser, Renaissancebauwerke, enge Gässchen liebt, dazu gotische und romanische Kirchen besichtigen möchte, ist hier goldrichtig. Auch die kleinen Weihnachtsmärkte an verschieden Stellen der Stadt waren noch im Gange. Touristen wie Einheimische hatten nach den Festtagen mehrere Gänge heruntergeschraubt, schlenderten durch die malerische Vieille Ville. Kleine Geschäftchen gab es allenthalben, mit Spezereien, Naturkosmetik und Elsässischem Kunsthandwerk. So, wie das Libellule – Merveilles Curiosités & Gourmandises. Ein Hort für selbstgemachte textile Schönheiten, leckeres Gebäck, Schreibmäppchen, Trinkflaschen, wunderschöne Karten, Schlüsselanhänger, Duftkerzen, Taschen, Geldbeutel, Puzzles, Kissen, Handyhaltern, Tabletts, Holzspielzeug uvm. Made in France, Fait Maison, naturellement. „Libellule„, so liest man auf der Homepage, „vereint mit Lust das Universum des Dekorativen mit jenem der Kindheit.“ Ein Kulturbeutel mit Südpol auf der einen und Äquatorialem auf der anderen Seite führte mich echt in Versuchung. Ich mag Pinguine. Und Bären. Zum Glück gibt es einen Webshop, wo man all die Herrlichkeiten auch noch nachträglich bestellen kann. Zum gemütlichen Kaffee- oder Teetrinken nebst kleiner Gâteaux müsst ihr euch allerdings nach Sélestat, in die Rue du 17 Novembre, Nr. 3, begeben. Dort erwartet euch dann die freundliche Madame Emmanuelle, die in diesem zauberhaften Laden für die textilen Handarbeiten steht.
Schon neigte sich die Dämmerung über Schindeldächer, spitze Kirchtürme und festlich geschmückte Weihnachtsbäume. Obacht! Im Dunkeln durch Vogesenwälder mit Wildwechsel fahren ist nur bedingt prickelnd. Also: Wie kamen wir von Sélestat wieder nach La Hoube?
Nun, ein kleines Stückchen Elsässische Weinstraße gab´s dann doch noch, indem wir durch das hübsche Fachwerkstädtchen Andlau fuhren. Dann ging´s aber schon in die Hochvogesen durch Villé (La Montanara!), Champs du Feu (imposante Heidelandschaft), Grendelbruch (charmantes Bergdorf), Urmatt, Niederhaslach, Oberhaslach (wie man sich´s vorstellt), Cascade de Nideck (Großartige Natur!), Wangenbourg, La Hoube (charmant, charmant, charmant). Unterwegs waren wir mit einstündigem Deichspaziergang, Besichtigung von Sélestat von 9:30 bis 17:45 Uhr. Richtig schön war´s, denn wo sieht man schon Ried, Weinberge und Bergkämme auf einmal und fährt sogar hindurch?
So, nun muss ich den Teig für die Käsespätzle machen. Will sagen: Heute werden wir bestimmt satt. Ich weiß, ich bin verfressen.
Fahrt mal hin!
Eure Stina
P.S. Die Käsespätzle waren mäßig. Sollte meine Experimente in der Küche etwas einschränken. (Oder war es gar die Strafe für meine harsche Kritik an der Plât du Jour?) Und die Weinstraße krieg ich schon noch zu sehen! Aber was würde man verpassen, wenn man nicht mal vom Weg abkäme? Also Danke, lieber Stefan!
Dieser Artikel erfolgte unaufgefordert und unbezahlt.