Von Äbtissinnen, heiligen Steinen und edlen Tropfen

Mont Sainte Odile Restaurant im Elsass Odilienberg im Alsace Kloster

Wir sind auf dem Weg zum Freizeitpark Rust. Es ist Samstag, Viertel nach neun, und mir steht der Sinn nach Gebrannten Mandeln, gruseligen Kürbisgesichtern und kindertauglichen Karussellfahrten. Im Auto: Noch eine ganze Stunde trennt uns von Zuckerwatte und Co., da verdüstert sich vor uns der Himmel. Die Aussicht darauf, völlig durchnässt, mit anderen Vergnügungssüchtigen in einem runden Gummiboot zu sitzen und rotierendem Wildwasser ausgeliefert zu sein, erscheint ab jetzt nicht mehr ganz so prickelnd. Ein Blick über die Schulter: In den Vogesen herrscht nach wie vor strahlender Sonnenschein. Hinter uns erhebt sich – Oh, Wunder – der Mont Sainte Odile. Ein Wink des Himmels. Wir kehren um, Richtung Ottrott, schlängeln uns den Berg hinauf, weichen faustgroßen Steinen aus, die auf die Fahrbahn gerutscht sind, sowie sehnigen Rennradfahrern, die in einem Affenzahn und knapp an der Mittellinie ins Tal sausen.

Am Mont Sainte Odile, dem wichtigsten Wallfahrtsort des Elsass, herrscht wie immer reges Treiben. Kein Gedränge. Eher ein beschauliches Lustwandeln durch die alte Klosteranlage, ausgerüstet mit Handy oder Profi-Kamera. Kinder traben lustlos ihren Eltern hinterher, manch ein Spross schreit sich gar in Rage. Pssst! Hier ist Stille angesagt: Silence, mahnen dezente kleine Tafeln. Aber Kinder sind Kinder – gut so. Über Neoprenjacken, Jeans und dunklen Anzügen (Würdenträger!) wacht – die Hand segnend über das elsässische Umland ausgestreckt – die hoffentlich überlebensgroße Statue der heiligen Odile, zu deutsch: Ottilie. Bevor der göttliche Funke auf uns übersprühen kann, verspüren wir Hunger. Es ist Mittagszeit, und beim Essen verstehen wir keinen Spaß. Im Restaurant nehmen die ersten Gäste Platz – vor überwältigender Mittelgebirgskulisse, die man durch große Fenster bewundern kann. Während genervte Eltern ihren Nachwuchs in die Kantine schieben, genießen hier die betuchteren Pilger sowie Bildungsreisende – und das sind wir heute auch – ihr typisch elsässisches Menu, das übrigens ausgezeichnet ist. Manch einer blickt bereits durchdrungen vom heiligen Geist, der ein oder andere Pfarrer dirigiert derweil noch seine Schäfchen an den richtigen Tisch. Trotz dezentem Geschirr- und Gläsergeklirre: Hier herrscht gediegene Konversation und wohltuende… Silence.

Restaurant auf dem Odilienberg
Im Restaurant

Der Maitre erläutert mir, das Bild am Eingang des Restaurants stelle die Eltern der Heiligen dar. Ich gewahre einen düster dreinblickenden Germanen, Alderich (zusammengesetzt aus alt und Macht), mit Riemen um die strammen Waden, neben ihm eine mittelalterliche Dame mit einem Anflug von Revolte um die zierliche Nase. Und das papierne Platzdeckchen, auf dem mein Kir soeben einen heidelbeerfarbenen Rand hinterlassen hat, zeige die getreuen Nonnen um Odile. Zu jener Zeit konnten sie, allesamt aus adligen Familien, noch tragen, was sie wollten. Nichts da mit schwarzer oder grauer Einheitskluft. Stattdessen mittelalterliches Graublau, Altrosa, Lachs und Ockergelb. Stilvoll!

Mont Sainte Odile Restaurant
Zum Abschluss einen Espresso

Wir begeben uns Richtung Grabkapelle. Vom Restaurant aus links sehen wir sie noch einmal: Die Frauen um Odile samt klösterlichem Rang. Adlig hin oder her. War Odile wohl eine gute Chefin? Wir werfen einen Blick in den kleinen Klostergarten, schlüpfen durch die niedrige Holztür wieder nach drinnen. Mittelalterliche Friese mit biblischen – teils grausigen – Szenen zieren die Wände. Plastische Darstellungen der Zehn Gebote. Mittelalterliche Krimiszenen. Jetzt flüstern wir. Ja, dieser Ort strahlt eine besondere Energie aus. Gut gewählt, der Berg. Der kleine Raum mit Odiles Sarkophag ist dunkel, Kerzen spenden spärliches Licht. In der nächstgrößeren Kapelle haben Gläubige viele rote Kerzen angezündet. Auf dem Fußboden kniet eine Frau, ihre Hände berühren den Sockel eines Steinpfeilers. Erst nachdem sie aufgestanden ist, sehe ich die paarweise aus dem Stein herausgemeißelten Hände. Odile, sind das deine?

In der dritten Kapelle wieder die merkwürdige Mischung aus selbstversunken Betenden und forsch voranschreitenden Touristen – Jack Wolfskin sei mit dir! Selbst werde ich ruhiger. Als wir blinzelnd in den Sonnenschein hinaustreten erfasse ich – oder erfasst mich – die wunderbare Aura dieses Ortes mit voller Wucht. Hoch oben über den Vogesen. Da sind die drei alten Linden, die zu einer zusammengewachsen sind, die schon so vieles gesehen hat, in der Kinder Verstecken spielen, die den Blick nach oben in den blauen Himmel kanalisiert. In die klare Luft, den kühlen Wind. Und da oben ist Odile, die über allem wacht.

Wer war Odile?

Odile/Ottilie wurde um 660 im Elsass oder Burgund als Tochter von Herzog Adalric vom Elsass und seiner Frau Bereswinde  geboren. Gestorben ist sie 720 im Kloster Niedermünster am Mont Sainte Odile. Die Äbtissin wird seit dem 15. Jh.  als Schutzpatronin des Elsass und des Augenlichts verehrt. Der Legende nach kam sie blind zur Welt, weshalb ihr Vater sie töten wollte. Die Heiratschancen standen wohl schlecht für Odile. Ihre Mutter brachte sie daraufhin in ein Kloster. Als sie zwölf Jahre alt war, erlangte sie während einer Taufe ihr Augenlicht wieder und kehrte zu ihren Eltern zurück, musste jedoch abermals vor ihrem Vater fliehen, der sie erneut töten wollte, musste sich sogar in  Höhlen verstecken. Vater und Tochter versöhnten sich letztendlich. Odile hat sich wohl durchgesetzt. Ihr Vater schenkte ihr den Odilienberg, auf dem sie 690 ein Kloster gründete. Auf ihr Konto geht auch das Kloster Niedermünster. Die Heilige liegt auf dem Odilienberg begraben und tausende Pilger machen sich alljährlich zu ihr auf, damit sie von ihren Augenleiden geheilt werden. So weit die Legende. Nochmal, warst du eine freundliche Frau, Odile? Oder haben dich die Verfolgungen durch deinen Vater bitter und streng werden lassen?

Schon meine Oma hat sich hier ihr Heilwasser abgefüllt. Und so pilgern auch wir zur heiligen Quelle und füllen uns eine Flasche von dem wundertätigen Wasser ab. Benetzen unsere Augen, schließlich werden die ab 50 nicht besser. Der Legende nach begegnete Odile an diesem Fels einem Aussätzigen, der sie um Wasser bat. Odile schlug mit einem Stock gegen den Fels (warum auch immer; war sie wütend, dass sie nichts zu Trinken dabei hatte?) Später wird mein Mann behaupten, er würde die Anzeigen im Auto jetzt wieder richtig lesen können. Beruhigend. Den Aufstieg absolvieren wir mit nassen Gesichtern, ich mit verschmiertem Eyeliner. Die Uneingeweihten mustern uns einigermaßen verwundert. Nein, wir haben nicht geweint, wir testen nur die Heilkraft des Wassers. Dieses kann man übrigens auch im Kloster für 1,50 Euro die Flasche erstehen. Die Quelle selbst erreicht man entweder mit dem Auto oder über ausgetretene Steinstufen, durch dichte Eichenwälder. Im Herbst kann es hier rutschig werden. 10 Minuten Abstieg, 10 Minuten Aufstieg bei normaler Kondition und mit guten Schuhen. Eine Menge Wanderwege starten hier. Übrigens: Eine halbe Stunde entfernt sind die sog. Grottes des druides (Druidenhöhlen). Bin mir ziemlich sicher, dass auch der Odilienberg ein keltisches Heiligtum war.

Außer Atem und beseelt steigen wir ins Auto. Wir kommen wieder, Odile! 2020 ist übrigens Jubiläumsjahr. Mehr dazu erfahrt ihr auf der Homepage des Mont Sainte Odile. Einen stimmungsvollen Radiobeitrag findet ihr beim Deutschlandfunk „Wanderung um den Klosterberg. Zu Besuch bei der Heiligen Odilie“.

Mont Sainte Odile

 

 

 

Über Klingenthal mit seiner traditionsreichen Waffenfabrik erreichen wir Heiligenstein, ein typisch elsässisches Dörfchen am Fuße des Odilienbergs an der Route des Vins d´Alsace.

Domaine Meckert, Heiligenstein, Route des Vins d´Alsace

 

Für WeinliebhaberInnen ein absolutes Muss. Mit einem Wein, der nur hier angebaut werden darf: Klevener de Heiligenstein. Ein Weißwein in den Varianten trocken, halbtrocken und mit hoher Restsüße, hervorragend als Aperitif geeignet. Die Domaine Meckert Michel baut bereits in der sechsten Generation Weine an. Und wird es wohl auch weiterhin tun. Jedes Jahr werden 120.000 Flaschen abgefüllt. Bio und zu guten Preisen.

Nach einer kleinen Weinprobe im gemütlichen Verkaufsraum steht unser Favorit fest: Klevener de Heiligenstein Clos Schwendehiesel 2016, halbtrocken. Ein wunderbar würziger, dabei ausgewogener Weißwein mit leichter Zimtnote. Gewonnen aus der Rebsorte Savagnin rosé; die Trauben sind nämlich rötlich. Die Spezialität des Dorfes, seit 1742 angebaut auf nur 97 ha rund um Heiligenstein. An einem Südhang am Ortseingang, 250 m über dem Meeresspiegel, liegt der Weinberg. Der Boden besteht aus Kieseln, Ton und Sandstein. Die Beratung durch den Hausherrn persönlich ist zurückhaltend freundlich und fachkundig. Hier wird einem nichts aufgedrängt. Die Weine sprechen für sich selbst. Familie Meckert ist stolz auf ihre Arbeit, ihre Erzeugnisse. Das merkt man.

Monsieur Meckert bei einer Weinprobe, Heiligenstein, Klevener de Heiligenstein, Routes des Vins d´Alsace, Elsass, Mont Sainte Odile
Monsieur Meckert bei der Arbeit

Delikate Eaux-de-Vie-Spezialitäten der Domaine Meckert sind Marc de Klevener de Heiligenstein, Marc de Gewurztraminer oder Marc de Muscat. Auch Honig und Marmeladen stehen zum Verkauf.

Zuhause genießen wir unseren Klevener de Heiligenstein. Mit Baguette und einem Tome d´Alsace. Mein Mann wird später behaupten, er habe eine leicht psychedelische Wirkung verspürt…

Messti Klevener de Heiligenstein
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Einmal im Jahr findet in Heiligenstein ein Weinfest statt mit Verkostung und allerlei Unterhaltung. Ein kleines, lustiges Volksfest, das einem Einblicke in elsässische Kultur und Gastfreundschaft gibt. Übernachten und gut essen kann man im Relais du Klevener

Ausführliche Reisetipps samt Übernachtungsmöglichkeiten und Restaurants findet ihr hier und hier. Fahrt mal hin. Gönnt euch a psychedelic weekend!

Eure Stina

(Photos (außer Wirtshausschild mit Elsässern, Canva) und Texte von Julclub)