Puh, ist das ein Wetter! Es stürmt und regnet in Strömen. Doch es ist Wochenende. Was werde ich also machen? Nun, es Maus und Igel gleichtun! Die haben sich nämlich ein wärmendes Feuer angezündet und sitzen geschützt in ihrer Höhle. Während draußen das Unwetter tobt, die Blätter fliegen, der Regen peitscht, naschen sie von den Früchten, die sie im Herbst gesammelt und getrocknet haben. Viele Geschichten fallen ihnen ein, z.B. jene, als der Igel sich vor einem Auto zusammenrollte und beinahe überfahren worden wäre. Wenn, ja, wenn die Maus ihm nicht einen kräftigen Tritt – vermutlich in den Hintern – gegeben hätte. So genau konnte sie das in ihrer Panik gar nicht erkennen. Aber da sind auch die schönen Erinnerungen an jede Menge Leute, mit denen man ebenfalls wunderbar zusammensitzen konnte. Mal in intensive Gespäche vertieft, mal schweigend. Wobei dem Igel jene, mit denen er entspannt schweigen konnte, die liebsten waren.
Ab und zu wird die Maus mit geschlossenen Augen ihr Schnäuzchen in den zartduftenden Kamillentee tauchen, während der Igel behaglich seine alte Meerschaumpfeife schmaucht und alle zehn Sekunden selig seufzt.
Später, sehr viel später, wenn ihnen vom vielen Sich-Erinnern schon die Augen zufallen, werden die beiden sich noch weiter in ihr heimeliges Zuhauses zurückziehen. Denn – ihr könnt es zwar nicht sehen, vielleicht aber ahnen: Da gibt es eine kleine, grüne Holztür, hinter der sich die Wohnstube der Freunde verbirgt. Tatsächlich gibt es dort zwei Betten mit richtig dicken Kissen und Bettdecken. Und zwar rotweißkarierte. So kuschelig, dass sogar das leise Schnarchen der Maus ein wenig gedämpft wird. Aber da ist der Igel sowieso schon längst eingeschlafen. Nur seine Schnurrhaare beben noch sachte nach, da sie die Düfte des vergangenen Tages in ihren Spitzen tragen…
Ich weiß auch, wovon Maus und Igel träumen. Wisst ihr´s auch?
Leider sind derzeit ungeheuer viele Menschen (und Tiere) weit davon entfernt in einem gemütlichen Heim zu sitzen, sich geborgen zu fühlen. Im Gegenteil: Sie müssen fliehen, frieren, hungern, ihr Zuhause ist zerstört, sie müssen ihre Liebsten zurücklassen, vielleicht irgendwo an der Front kämpfen, ihr Leben geben, als Kanonenfutter dienen. In speziell auch diesem einen Krieg in der Ukraine, der, wie alle Kriege, Tod und Verderben über die armen Menschen dort bringt. Ich könnte kotzen. Kotzen und heulen gleichzeitig, wenn ich an dieses absolut unnötige Beispiel menschenverachtender Verblendung, Dummheit, diesen fatalen Ausbruch tödlichen Größenwahns denke. Mit Verlaub. Ich weiß nicht, was man tun kann, um diese merkwürdige Welt zum Frieden zu führen. Aber ich kann an euch appelieren: Haltet euch einmal, nur einmal, vor Augen, was es bedeutet, so viel, vielleicht alles und alle zu verlieren. Stellt euch doch mal vor, wie es euch erginge! Uns eint doch, dass wir Menschen sind. In denen tatsächlich auch viel Gutes steckt. Das werdet ihr merken, wenn ihr ein bisschen nachdenkt, euch auf das besinnt, was wirklich wichtig ist. Wer braucht schon Machtmenschen, Ausbeuter & Co.? Die meisten von uns wollen im wahrsten Sinne des Wortes doch nur in Frieden gelassen werden.
Und wehrt euch gegen die IdiotInnen von rechts, die uns weismachen wollen, dass sie die Lösung für all diese Probleme haben. Das ist keine Option! Niemals!
Collage „Maus und Igel lassen sich´s gut gehn“ von Jutta Stina Strauß
Meine Lieben, es mag vielleicht verfehlt anmuten, angesichts des Elends in der Ukraine einen solchen Beitrag zu verfassen. Aber, seid versichert, das entsetzliche Schicksal dieses Landes und seines Volkes lässt mich alles andere als unberührt. Wer hätte mit einer solch unnötigen Aggression seitens Putins gerechnet? Alle? Niemand? Vielleicht haben wir die potentielle Gefahr aus naheliegenden Gründen auch nur verdrängt. Und bitte, wenn ich von Aggressoren spreche, meine ich nicht das russische Volk. Ich meine Russlands Diktator und seinen Stab unseliger alter Männer, die – weitab vom Kampfgeschehen – vor Computerbildschirmen lümmeln, während sie lässig, mit halbem Auge die Zerstörungen betrachten, die sie anrichten.
Eigentlich war mir angesichts Covid und dieser jüngsten kriegerischen Auseinandersetzung die Lust aufs Schreiben etwas vergangen. Es bedarf schon einiger Eigenmotivation um diese Zeiten unbeschadet durchzustehen. Auch, sich seinen Ängsten zu stellen. Wer derzeit die einschlägigen Nachrichtenkanäle nutzt, sieht sich mit Bildern konfrontiert, die wir seit dem Zweiten Weltkrieg auf europäischem Boden nicht mehr gesehen haben. Weinende Frauen und Kinder auf der Flucht. Ihre Männer, Söhne und Väter im Ungewissen. Wie die Bevölkerung ihrer grausamen Lage trotzt – einfach unglaublich! Ich weiß nicht, ob ich so mutig wäre.
Vielleicht mutet euch auch dies seltsam an: Aber mir fällt auf, dass viele Leute ihre Haustiere dabei haben, sie nicht im Stich lassen. Meerschweinchen, Hamster auf der Flucht. Gestern sah ich im Fernsehen einen kleinen Dackel mit seiner verzweifelten Familie über Gleise rennen. Im Hintergrund Detonationen. In einer Bahnhofshalle in Polen warten eine Frau mit viel zu schwerem Rucksack und ihre kleine Tochter auf die Weiterfahrt. Neben sich ihren treuen Retriever.
Lasst uns auf bessere Zeiten hoffen. Auf ein Ende des Krieges, der zu untragbaren Verlusten auf beiden Seiten führt und nur eines ist: Unmenschlich.
Demonstriert, spendet, betet, besinnt euch auf das Wesentliche, lebt nachhaltiger, tanzt das Wort Frieden. Egal. Was zählt, ist, dass ihr etwas tut.
Sausage Walk. Turin, Italy – Fountain in Piazza Castello (Castle Square) with walking people.
Und deshalb, und zum Weltfrauentag (Mein Mann glaubt, dass ich nur Frauen gemalt habe. Stimmt aber gar nicht) mein Sausage Walk Bild. Auf dass Frauen, Männer, Kinder, Hunde und Katzen nicht mehr um ihr Leben rennen müssen, sondern sich zum gemeinsamen Spaziergang treffen. So, wie es die TurinerInnen im letzten Jahr vorgelebt haben, als wir eine Woche in dieser tollen Stadt verbringen durften. Die Covidmasken hab ich einfach mal weggelassen. Als Erinnerung daran, dass zu einem Augenpaar auch immer Nase, Mund, ja, Mimik überhaupt gehören.
Ich weiß, Halloween hat tatsächlich nicht viel mit Kürbissen zu tun. Trotzdem, finde ich, gehören sie wie buntes Laub, Kastanien und der Duft von Holzfeuern zu den aboluten Highlights in einer zuweilen trüben Jahreszeit. Endlich können wir uns wieder zuhause einigeln. Mit einem guten Buch und einer heißen Tasse Friesentee, eingemummelt in die dicke Decke mit dem Norwegermuster. Ohne schlechtes Gewissen. Nicht wie im Sommer, wenn die Sonne scheint, und wir die heißen Tage unbedingt draußen verbringen müssen, weil es in unseren Breiten nicht immer so viele davon gibt. Vielleicht gehört ihr aber auch zu jenen, die es gerade jetzt lieben, durch heimelig erleuchtete Straßen zu ziehen, hier eine heiße Schokolade, dort schon einen Glühwein zu trinken, Leute zu treffen, die ihr lange vermisst habt. Vielleicht seid ihr ja eher Herbstkinder, akzeptiert diffusen Nebel wie goldenes Licht mit frohem Herzen, weil es eine stillere Zeit ist als die Weihnachtszeit mit all ihren Aktivitäten. Extra für euch haben die Kürbiskinder ihre geernteten Schätze ausgebreitet. Müde, aber glücklich, dass sie, nach so viel Arbeit, im Schein der Laternen zusammensitzen können. Ich denke mal, dass sie gleich anfangen werden, einander Geschichten zu erzählen. Gruselig müssen sie sein. Nicht zu sehr, aber so, dass einem leichte Schauer über den Rücken jagen. Und sollte es zu schauerlich werden, hat man wenigstens einen Grund, noch etwas dichter zusammenzurücken. Happy Halloween!
wünscht Stina, die auch die Collage erstellt und zeichnerisch bearbeitet hat.
Gerade hat mich ein heftiger Sommerregen wieder ins Haus getrieben. Wie so häufig in diesem Jahr. Unser Vogesen-Garten ist so dicht und grün, wie schon lange nicht mehr. Ein richtiger Dschungel. Obwohl vieles zurückgeschnitten werden müsste, habe ich die Gartenschere erstmal ganz unten in die Schublade verbannt. Zumal unglaublich viele, piepsende Jungvögel unterwegs sind, die in Hecken, Bäumen, sogar auf Grashalmen auf die eine oder andere fette Raupe warten, welche die emsigen Eltern unermüdlich herbeischaffen. Da würde eine emsige Stina nur stören. Zeit, anderweitig ein wenig produktiv zu werden, dachte ich mir also. Lange schon wollte ich die beiden Bilder mit den im Kirschbaum lesenden Mädchen in meinen Blog stellen. Denn ich glaube, dass gerade diese beiden Mädchen, die realiter schon erwachsen sind, sich – trotz ihres stressigen Alltags – die Zeit zum Lesen nehmen sollten. Lesen ist schön. Kirschbäume sind ebenfalls schön. Eine Verbindung von beidem ist schier unübertrefflich. Jetzt sitzen sie also da. In ihren karierten Blusen, kurzen Hosen und roten Schühchen. Jedes auf seiner Seite. Vertieft in ein sicher spannendes Buch. Weltvergessen. Selbstbewusst. Geborgen. Denn immer noch ist da die Straße, wo sie mit ihren Eltern wohnen, die Häuser mit ihren heimelig erleuchteten Fenstern und den Geranien davor. Vielleicht steht das Abendessen schon auf dem Tisch. Vielleicht ist bald Schlafenszeit. Gleich wird jemand die beiden hereinrufen. Da heißt es die letzten Minuten in Freiheit zu nutzen. Ja, so könnte es gewesen sein. Mag sein, das Bild erinnert die beiden auch nur an die Stimmung. Damals, in den sommerwarmen Nächten. Auch gut.
In der Tat findet man erwachsene Leser nur noch höchst selten in den Kronen, oder wenigstens auf den unteren Ästen eines alten Baums. Versteckt vor der Außenwelt. In ihrem eigenen, kleinen Fantasie-Reich. Sei es aus Angst vor krabbelndem Getier oder einfach aus Bequemlichkeit: Auch ich sitze oder liege in den dafür vorgesehenen Möbelstücken. Außerdem bestünde die Gefahr, dass der ein oder andere Ast bricht.
Aber ich stelle mir zumindest vor, wie es war. Damals im Kirschbaum. Mit einem zerfledderten Donald-Duck-Heft oder den Fünf Freunden auf Abenteuerfahrt zur Felseninsel. Vielleicht fangen sogar gerade die unermesslich langen Sommerferien an. All das stelle ich mir vor. Auch wenn ich nur in einem Liegestuhl lümmele. Wenn mein Mann dann noch eine Zigarre raucht, ist das Glück vollkommen. Das hat mein Vater auch getan. Und irgendwie verbinde ich den Duft mit Ferien, Samstag, Freiheit, Lesen, Abenteuer. Wenn dann noch ein Nachbar irgendwo den Rasen mäht, der Duft des frisch geschnittenen Grases in meine Nase weht, bin ich wieder zwölf. Das war der wirklich gute Teil der Kindheit und Jugend. Der Teil, den man sich bewahren sollte.
Welch ein Glück! Von unserem Balkon aus sehe ich den Kirschbaum unserer Nachbarn. Ich liebe den Blick mitten ins üppige Grün. Ganz besonders, wenn Ende April die Blätter Gesellschaft von abertausenden Blüten bekommen. Praktisch über Nacht explodiert der schon betagte Baum in reinweißen Blüten, die von Bienen, Hummeln, und neuerdings, einer Art fliegendem Skorpion besucht werden. Habe recherchiert. War der schwarze Moderkäfer, und ich bin zum Glück auf mehr als 20 cm Abstand geblieben. Instinkt nenn ich das. Kirschbäume also. Als Kind bin ich ständig in einem herumgeklettert. Denn klaro hatten wir einen im Garten. Sogar mit süßen, weißen Kirschen. Eine Rarität. Jeden Tag backte meine Großmutter einen Hefeboden, den sie dick mit Kirschen belegte. Dazu gab´s jede Menge Sahne. Phantastisch! Kalorien wurden damals nicht gezählt, denn irgendwie waren wir als Kinder ständig in Bewegung. Spielten Federball, Völkerball (Keine Gnade mit Brillenträgern!), schaukelten, hüpften. Mit meiner damals besten Freundin baute ich ein Baumhaus, auf dem wir stundenlang spielten, quatschten, merkwürdige Pläne ausheckten, wie den für ein Gestüt Steine zu sammeln, da ich aus irgendeinem Grund dachte, Pferde würden gerne über Steine gehen. Die Schlepperei hätten wir uns sparen können, denn wir wurden von dem fuchsteufelswilden Besitzer des Platzes verwiesen. Doch zurück zum Kirschbaum. Selbst meine ältere Schwester schwang sich ab und an auf einen der ausladenden Äste. Bewaffnet mit Apfel und Schmöker. Und wollte unbedingt ohne kleine Schwester verweilen.
Ganz besonders gerne saß ich nach dem Abendessen noch ein Weilchen im Baum. Meine Mutter und Großmutter klapperten mit dem Geschirr, während ich zwischen ein paar späten Hummeln und frühen Nachtfaltern vor mich hinträumte. Die Luft war voll vom Duft des aufsteigenden Taus. Der Tag ging schlafen, atmete noch einmal tief durch. Später würde ich auf der Terrasse sitzen, auf der alten Hollywood-Schaukel, und mit den anderen Frauen der Familie ein paar Volkslieder trällern. Mmh, schön. Etwas, das ich vor dem Schlafengehen nur empfehlen kann.
Irgendwann hat er nicht mehr getragen. Unser Kirschbaum. Ganz hohl war sein Stamm geworden. Bei der leichtesten Berührung brachen zunächst bemooste Zweige, dann ganze Äste ab. Seine Zeit war wohl gekommen. Mein Vater, weniger Gärtner als ein Fan von Schneidewerkzeug aller Art, sägte ihn ab. Meine Mutter weinte. Die Großmutter zeterte. Eine Ära ging zu Ende.
Sozusagen als Ersatz wurde ein drahtiger Sauerkirschenbaum gepflanzt, der, nach Aussagen meines Vaters, eine gewisse Größe nicht übersteigen, geschweige denn ein Baumhaus verkraften würde. Wir nuckelten mit säuerlich verzogenen Gesichtern an seinen mickrigen Früchten, veranstalteten Kernspuckwettbewerbe und trauerten den süßen Kirschen des alten Weggefährten hinterher. Übriggeblieben von der ganzen Pracht waren Reihen von Eingemachtem. Mit der Zeit bekamen die eingekochten Kirschen eine unappetitlich bräunliche Patina, rückten im PVC-beklebten Regal (beige-braune Karos!) immer weiter nach hinten. Noch 20 Jahre später standen die hohen Gläser im Keller, bis wir sie schweren Herzens in den Garten kippten, wo sie wenigsten noch ein paar Amseln besoffen, vielleicht auch betroffen, machten.
Wenn ich heute in den Garten meiner Schwiegereltern schaue, ist da eine kleine, wie soll ich sagen, Kirschbaum-Ruine. Die Überreste des anlässlich der Geburt meines Mannes, vor deutlich über fünfzig Jahren, gepflanzten Kirschbaums. Einst ein Prachtstück, hatte ein Nachbar seine Wurzeln gekappt, weil die Äste auf sein Grundstück ragten, die im Herbst herabfallenden Blätter zudem „zu viel Dreck“ machten. Nachdem eine Stammhälfte derart masakriert worden war, trieb der arme Baum nur noch spärlich aus. Immerhin, seine bessere Hälfte durfte bleiben. Zuweilen denke ich, dass Kirschbäume es schwer haben in dieser Welt. Kaum scheinen sie für uns Menschen nicht mehr produktiv, werden sie entsorgt. Stefans Baum kenne ich noch in strahlendem Blütenschmuck, den er im April zu den drei aufeinanderfolgenden Geburtstagen der Kernfamilie meines Mannes stolz präsentierte. Jetzt klettern eine Rose nebst Hortensie an ihm in die Höhe. Es wimmelt von Insekten, Vögel bauen sich Nester in das grüne Gewirr. Während der bereits erwähnte Kirschbaum des Nachbarn gegenüber weiterhin unverdrossen und prachtvoll blüht, wir ihn vor allen Dingen von unserem Balkon aus sehen können. Aber der erste Kirschbaum bleibt doch immer etwas Besonderes. Noch heute denke ich manchmal an ihn. Unseren geliebten Kirschbaum.
Der Kirschenbaum Heut hatt‘ ich einen Kindertraum. Sein Inhalt war: ein Kirschenbaum, Sonst nichts. Der war so kirschenschwer, Man sah von seinem Grün nichts mehr.
Der rote Baum stand ganz allein Und strahlte nur von Sonnenschein. Die Kirschen waren wie aus Glas, Was für ein heller Glanz war das!
Wie ich so in die Kirschen guck‘, Aus jeder Kirsche, wie ein Spuk, In kirschen-, kirschenrotem Licht Lacht mir entgegen mein Gesicht.
Zehntausend Kirschen sicherlich, Nicht übertrieben, zählte ich; Nun stellt euch vor, zehntausendmal Lacht‘ ich mich an im Sonnenstrahl!
Da ich schon lange aufgewacht, Hab‘ ich noch vor mich hingelacht Und lag und lag noch halb im Traum Und lachte in den Kirschenbaum.
Gedicht von Hugo Salus (1866 – 1929) aus „Reigen“ 1. Auflage 1900
Soll ich euch was verraten? Zumindest eins der beiden Mädchen trägt auch heute noch gerne karierte Blusen und kurze, blaue Hosen. Ist das nicht schön?
Zuerst die Fakten: E-Bike-Rundtour. Ca. 3-3 ½ Stunden. Teilweise Fahrradwege. Mittlerer Schwierigkeitsgrad. Route: Von Dossenheim-sur-Zinsel über D14 Neuwiller-les-Saverne Richtung ausgewiesene Fahrradstrecke (Kleines Schild mit grünem Fahrrad bzw. kleiner orangener Pfeil) nach Herrenstein. Nicht über D 133 Richtung Bouxwiller/Griesbach! Im Zentrum von Herrenstein rechts abbiegen. Ein Abstecher zur Abtei, die rechterhand liegt, lohnt sich. Wieder auf der Hauptstraße am Hotel-Restaurant Le Herrenstein vorbeifahren. Am Ortsausgang geht es links auf den Fahrradweg 22 bzw. 62 Richtung Bouxwiller. Hier kurzer Abstecher ins Zentrum mit seinen Fachwerkhäusern und Salon de thé Au charme du passé. Auf demselben Weg wieder aus dem Ort hinausfahren, D4 Richtung Obersoultzbach. Auf die D7 nach Weiterswiller abbiegen. Richtung Neuwiller-les-Saverne fahren. Weiter nach Herrenstein, diesmal geradeaus weiterradeln nach Dossenheim-sur-Zinsel.
Hier nicht. Aber….
gegenüber. Dem grünen Fahrrad folgen.
Weitere Details zum Radfahren im Hanauer Land findet ihr hier!
Und jetzt… Stimmung!
Der Taugenichts eilt den gnädigen Fräuleins entgegen
Hatte mir gerade wieder einmal Joseph von Eichendorffs Aus dem Leben eines Taugenichtszu Gemüte geführt. Da drängte es mich, es jenem gleich zu tun. Statt im Garten auf einer Liege zu lümmeln, schwangen mein Mann und ich uns aufs Fahrrad um das Hanauer Land – Le pays de Hanau – zu erkunden. Denn wie heißt es so schön in der Novelle: „Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt.“ Und weit erschien mir die Welt an diesem Tag tatsächlich. Obwohl wir nicht auf Schusters Rappen geschweige denn mit Kutsche unterwegs waren wie der müßige Müllersohn. Und es war auch nicht die schöne Donau, die uns zuweilen begleitete, sondern die weitaus kleinere, ruhigere Zinsel. Doch rechts und links wogten gelbe Felder. Die Heuballen waren artig gerollt. Am hohen Himmel segelten Schwalben dahin. So hätte man vielleicht zu Eichendorffs Zeiten geschwärmt. Und so schwärme ich auch heute noch angesichts pittoresker Fachwerkdörfchen, mit Gärten, die es gut und gerne mit der bunten Blütenpracht vor jenem Eintreiber-Häuschen aufnehmen könnten, das dem Luftikus wie zufällig in den Schoß fällt. Sehe ihn direkt vor mir, wie er so auf seiner Bank sitzt, im gediegenen Morgenrock seines Vorgängers, eine Pfeife schmaucht und den Lieben Gott einen guten Mann sein lässt. Einmal den Spießer in sich ausprobiert, um dann neugierig zu neuen Ufern aufzubrechen. Unversehens fühlt man sich in die Zeit um 1826 versetzt, als die spätromantische Novelle erschienen ist.
Wächter aus Sandstein an der Abtei in Herrenstein, Neuwiller-les-Saverne
Innehalten
Immer wieder erstaunlich ist auch, was sich mit dem Fahrrad, abseits der ausgetretenen Pfade entdecken lässt. Nie im Leben hätten wir doch gedachtt, dass in Herrenstein eine mächtige romanisch-gotische Abtei den Ortskern dominiert. Der Grundstein dazu wurde im 8. Jh. gelegt. Die Einheit von romanischer Doppelkapelle, dem ältesten Teil der Abtei, gotischer Basilika und weitläufigem Vorplatz strahlt eine wunderbar kontemplative Ruhe aus. Stellt euer Rad beiseite, genießt den Augenblick. In der Kirche gibt es auch kostbare Wandteppiche aus der Zeit um 1500 zu bestaunen. Immerhin trägt die Anlage den Titel monument historique. Wie wäre es jetzt mit einem Picknick mit frischem Baguette? Auf dem Weg nach Bouxwiller könnt ihr auf der FermeHerrenstein den Käse dazu kaufen.
Super leckerer Blaubeerkuchen: Au charme du passé, Bouxwiller
Unser Piece of the day war allerdings das Au charme du passé in Bouxwiller. Ein liebevoll dekorierter Salon de thé, ausgestattet mit einer Fülle von Antiquitäten samt Kuriosa, in einem Seitengässchen der Grand Rue. Hier bekommt ihr den wohl besten Blaubeerkuchen des Grand Est. Mit einer wunderbar luftigen Baiserhaube. Selbst gebacken vom Hausherrn, der von Berufs wegen ein vielbeschäftigter Schreinermeister ist. Das Cafe dagegen ist die Domaine seiner Frau, die ihre Gäste mit Charme und Warmherzigkeit empfängt. Ihre Zitronencremetorte, den Pflaumenkuchen und den Erdbeerkuchen mit Nuss hätten wir gerne noch gekostet, aber ein Stück und ihr seid pumperlsatt. Jeder Tisch erzählt von Madames Leidenschaft für Nostalgisches, das man hier natürlich auch erstehen kann. Vom Steiff-Dackel bis zu elsässischen Trachten im Puppenformat – hier wird man fündig. Im Sommer sitzt man in einer hübschen Gasse, umgeben von typischen Fachwerkhäuschen. Natürlich an Tischen mit blütenweißer Spitzentischdecke.
Charmant: Die Besitzer des Au charme du passé
La Tarte!
Wunderschön dekoriert…
Weiter ging´s also mit kugelrunden Bäuchen. Vorbei an Obstwiesen, kleinen Weilern, leuchtenden Gärten mit Astern, Dahlien und, klar, strahlend gelben Sonnenblumen.
Obersoultzbach
Und da ist er wieder, der Taugenichts, wie er fiedelnd seines Weges zieht. Sicher hätte er bei der kleinen Kirmes in Obersoultzbach aufgespielt. Ich seh ihn vor mir: Mit spindeldürren, langen Beinen, wehenden Haaren und fliegenden Rockschößen. Ein Sinnbild des Sommers, der Lebensfreude, Leichtigkeit in jeder Pore. Und einer guten Portion Gelassenheit. Und wer möchte schon das Arbeiten erfunden haben? Immer der Nase lang. Auch wenn ihn zuweilen das Heimweh drückt. Er wagt und gewinnt. Bis er schließlich seine Liebste findet, die zwar keine Gräfin ist, dafür aber geduldig auf ihren Angebeteten gewartet hat, während er im fernen Italien Erfahrungen sammelte. „Sie lächelte still und sah mich recht vergnügt und freundlich an“, schreibt von Eichendorff am Ende seiner Erzählung, die, auch wenn, oder gerade weil sie manchmal so abstrus mit Zufällen spielt, unser Herz erwärmt. „…und von fern schallte immerfort die Musik herüber, und Leuchtkugeln flogen vom Schloß durch die stille Nacht über die Gärten, und die Donau rauschte dazwischen herauf – und es war alles, alles gut!“
Blumenpracht im Pays de Hanau
Sind die Fahrräder verstaut, könnte ich mir vorstellen im Le Herrenstein einzukehren, oder sogar zu übernachten. Aber davon vielleicht ein andermal.
Hotel-Restaurant Le Herrenstein und wo man sonst noch einkehren kann