Auf dem Moselradweg

Es gibt Tage, da stimmt einfach alles. Amseln zwitschern. Meisen piepen durchs geöffnete Fenster. Eine Hummel summt aufgeregt zur nächsten Blüte. Wir beobachten die kleine Camera obscura, die jeden Morgen an der Wand erscheint, sobald sich die ersten Sonnenstrahlen auf unsere Nasenspitzen schleichen. Die Tannen im Garten stehen Kopf, die Dächer ebenfalls. Zum Frühstück backe ich finnische Roggen-Blini mit Preiselbeerquark. Dazu gibt es eine Tasse heißen Kaffees und die Aussicht auf einen wunderschönen Ausflug mit dem Rad. Dem Elektrorad. Denn ich bin ein Fan davon.

Wir fahren an die Mosel. Dahin zog es mich bis dato nicht. Die Erinnerung an endlose Besichtigungen von deutschen Kirchen und Klöstern, für die mein Vater schwärmte, hatte mich auf Jahre negativst geprägt. Nun also doch. Und sie ist schön, die Mosel! Komme mir vor wie im Süden. Die Toskana vielleicht. So vollständig von schwindelhohen Weinbergen umgeben. Dazwischen das glitzernde Wasser des Flusses. Aus waldigen Höhen kommend, genießen wir bei Leiwen den Blick auf die schönste Moselschleife zwischen Trier und Bernkastel. Hier führt übrigens auch der Moselsteig entlang, ein herrlicher, 365 km langer Fernwanderweg, mit unglaublichen Ausblicken, den wir sicher irgendwann mal begehen. Heute aber stellen wir unser Auto auf einem Parkplatz in Neumagen-Dhron ab, direkt neben einem Premium-Platz für Camper und ebenso direkt am Ufer. Die Vorderräder sind schnell montiert, der Dackel in der neuen Do-it-yourself-Wäschekorb-Konstruktion mit Polster, jeder Menge Luft und einem Kauknochen sicher untergebracht. Wir überqueren die Moselstraße, halten auf den Haupteingang des altehrwürdigen Hotel-Restaurants „Zum Anker“ zu. Gehen nach links, biegen nach rechts in die Pelzergasse ein, folgen ihr bis zur Römerstraße, biegen die erste wieder links ab. Dem Fahrradsymbol folgend geht´s gleich wieder nach links, leicht bergab, wo auch die Feuerwehr stationiert ist.

Wir sind auf dem Moselradweg. Passieren wunderbar grüne Auen. Leise schnatternde Enten dümpeln unter schattenspendenden Weiden, am strahlend blauen Himmel kreisen die Merlane. Es wird eben bleiben, so entlang des Flusses. Ich freue mich. Kleine Buchten mit Kieselbänken laden uns zum Verweilen, wegen des rauen Windes allerdings nicht zum Baden ein. Außer das Dackelchen. Es badet, paddelt Stöckchen hinterher, schnaubt fröhlich ins Wasser. Kinder spielen mit Eimerchen und Schaufel, wohlbehütet durch flatternde Sonnenhütchen. Die Eltern lesen, dösen auf mitgebrachten Klappstühlen. Nein, es riecht nicht nach Sonnencreme. Es ist beschaulich. Ein Gemälde in sanften Farben.

Irgendwie fontanesk!

Vorbei geht´s an Gründerzeit-Villen, schieferverkleideten Häuschen und traditionsreichen Weingütern. In einem kleinen Ort namens Brauneberg können wir nicht widerstehen, obwohl wir zum Auftakt der Fahrt jeder ein hartgekochtes Ei samt Stulle verzehrt haben. Doch eine lauschige Straußenwirtschaft, ein Winzerhotel folgt dem anderen: Plötzlich haben wir Hunger. Wir entscheiden uns für das schmucke Restaurant Steinmetz, sitzen in dem in kleine Inseln unterteilten Garten – nebst plätscherndem Koi-Teich. Brav fülle ich unseren Corona-Zettel aus. 1 Hausstand. Ungetestet. Die Pfingsrosen blühen, Insekten summen, der Salat mit Garnelenspieß ist delikat, die Maispoularde zart. Das Tüpfelchen auf dem i ist jedoch die Schorle aus dem hauseigenen weißen Traubensaft, ein äußerst delikates Nebenprodukt der Weinherstellung. Die hausgebackenen Kuchen und Torten sollen auch ganz famos sein, aber wir wollen ja auf den Sattel kommen. Deshalb blicken wir, nur an einem Espresso nippend, über die grüne Wiese hinweg auf die Mosel, sehen Schiffe vorbeiziehen, den Winzern, die keinen Sonntag kennen, bei ihrer steilwandigen Arbeit zu.

Moselradweg Neumagen-Dhron

Hier könnten wir verweilen, zumal es sechs Gästezimmer gibt, die, sobald die Lockerungen greifen, stante pede belegt sein werden. Frischgeduscht in kühle Laken sinken ist nicht. Wir treten in die Pedale. Bernkastel-Kues also. Wieder einmal wird mir klar: Der Weg ist das Ziel. Trotz seiner pittoresken Fachwerkkulisse ist mir dieser Hotspot heute zu touristisch. Dass der Radweg einige Kilometer an einer Schnellstraße vorbeiführt ist auch nicht prickelnd; dafür aber entschädigen die übrigen Abschnitte der Tour. Doch ein Kaffee an der Mole muss sein, bevor wir uns wieder auf die Räder schwingen und so zurückstrampeln, wie wir gekommen sind.

Neumagen-Dhron ist übrigens der älteste Weinort Deutschlands. 1878 hat man hier ein Grabmal in Form eines römischen Weinschiffs gefunden. Auszubildende der Handwerkskammer Trier haben es in Holz nachgebaut, damit man mit ihm in echt die Mosel befahren und dabei Wein trinken kann. Wenn es dann mit dem Rudern nicht mehr klappen sollte, übernimmt ein Dieselmotor. Derzeit wartet die Stella Noviomagi, der Stern Neumagens, auf Corona-Freigabe. Meine das nicht wörtlich. Hach, wie aufgeräumt, wie freundlich alle sind. Die Menschen winken. WINKEN! In der hellen Frühsommersonne, mit einem Getränk, einem Schnitzel mit Pommes, gar einem Eis mit Erdbeeren, glänzt das Versprechen auf ein Stück Normalität. Beflügelnd! Glücklich und voller Eindrücke landen wir nach knapp 47 Kilometern vor unserem Kofferraum. Klopfen uns auf die Schulter. Nur noch schnell mit dem Auto nach Brauneberg zurück, um 6 Flaschen dieses außergewöhnlichen Traubensafts zu erstehen. Über waldige Passagen mit kleinen Bächen geht´s dann, wohlig in die Polster gedrückt, nach Hause. Motorradfahrer mögen die kurvenreiche Strecke wohl auch. Mein Moseltrauma ist überwunden. Alte Schrecken lassen sich neu entdecken. Alles ist schön. Alles wird gut. Ich hab´s doch gesagt: Der Weg ist das Ziel.

Moselradweg

An Unterkunftsmöglichkeiten mangelt es der Mosel nicht. Wenn Hotels, Gästezimmer, Pensionen wieder uneingeschränkt Besucher empfangen können, ist es jedoch sinnvoll zu reservieren.

Mosel radfahr

Einen schönen Sommer wünscht euch

Stina (P.S. Das Rezept für die Blinis stelle ich euch später ein!)